Mette vom Mond – Leseprobe

Kapitel 1: Ein winziges Königreich

Es war einmal ein Königreich, das war so klein, dass noch nicht einmal eine Burg hineinpasste – zumindest keine anständige mit Mauern und Wassergraben drumherum. Daher stand dort nur ein einziger Turm in einem winzigen Garten. In dem Turm lebte die königliche Familie bestehend aus Königin Marie, König Manuel und Prinzessin Mette.
Die Königin und der König waren ganz froh darüber, dass ihr Königreich so klein war. Da für Untertanen und Bedienstete kein Platz war, mussten sie nicht viel Zeit für das Regieren aufwenden. Auch Gartenarbeit und Haushalt bereiteten wenig Mühe. So hatten sie viel Zeit, mit der Prinzessin zu spielen und ihren Hobbys nachzugehen. Die Königin malte und werkelte gern, der König liebte es, zu lesen und zu schreiben.
Die Prinzessin war ebenfalls glücklich und zufrieden. In letzter Zeit hatten aber die anderen Prinzessinnen und Prinzen in der Schule damit angefangen, sie zu ärgern. Sie ging in einem der vier Nachbarkönigreiche zur Schule, wo sie mit allen Königskindern der umliegenden Länder zusammen lernte. Die kamen allesamt aus viel größeren Königreichen, weswegen sie sich immer öfter über Mette lustig machten.
»Euer ganzes Königreich würde bei uns in den Gemüsegarten passen«, sagte Prinzessin Norma aus dem nördlichen Königreich.
»Eure Burg ist kleiner als unser Toilettenturm«, sagte Prinz Sascha aus dem südlichen Königreich.
»Stimmt es, dass ihr selbst kochen müsst?«, fragte Prinzessin Wilma aus dem westlichen Königreich und prahlte dann: »Ich habe drei Köche ganz für mich allein: einen fürs Frühstück, einen fürs Mittagessen und einen fürs Abendessen.«
»Ihr habt ja nicht mal Untertanen«, sagte Prinz Otto aus dem östlichen Königreich schließlich. »Ohne Untertanen ist man doch gar keine richtige Prinzessin.«
Eigentlich mochten sich die Kinder gern und waren nett zueinander – manchmal konnten sie aber sehr gemein sein. An solchen Schultagen kam Prinzessin Mette schlecht gelaunt nach Hause.
Aber ehe sie ins Bett ging, war es der Königin und dem König immer gelungen, sie wieder aufzumuntern. Sie kochten ihr Lieblingsessen, spielten besonders lange mit ihr und zeigten ihr damit, wie schön das Leben in ihrem kleinen Königreich doch war. Und so schlief sie auch an solchen Tagen glücklich und zufrieden ein, ohne an die dummen Hänseleien der anderen Kinder zu denken.
Eines Tages aber kam Prinzessin Mette so traurig nach Hause, dass alle Mühen ihrer Eltern vergebens waren. Sie wollte kaum etwas essen und hatte keine Lust zu spielen. Als Mama Marie und Papa Manuel sie in den Garten mitnehmen wollten, um einen Drachen steigen zu lassen oder Fußball zu spielen, schrie sie:
»Wie sollen wir in dem winzigen Garten denn richtig Fußball spielen oder einen Drachen in die Luft kriegen? Wir können doch keine zwei Schritte laufen, ohne an eine Grenze zu kommen!«
Dann rannte sie den Turm hinauf in ihr Zimmer und knallte die Tür zu. Königin Marie und König Manuel schauten sich an. Diesmal war es besonders schlimm. Und da sie ihre Tochter nicht traurig sehen konnten, dachten sie sich etwas Besonderes aus.
Als es Abend geworden war, klopften Mama Königin und Papa König an Mettes Tür. Sie hatte sich immerhin so weit beruhigt, dass sie mit einem mürrischen »Was?« antwortete.
»Wir haben eine Überraschung für dich«, sagte Mama Marie.
»Außerdem haben wir dir Sternchennudelsuppe zum Abendbrot gemacht«, fügte Papa Manuel hinzu. Sternchennudelsuppe war Mettes Leibgericht. »Und du darfst heute länger aufbleiben. Die ganze Nacht, wenn du magst.«
Die Königin knuffte dem König daraufhin in die Seite. Er neigte oft dazu, es ein wenig zu übertreiben.
Schließlich öffnete sich die Tür des Prinzessinnenzimmers und Mette schaute heraus. Sie versuchte dabei so desinteressiert wie möglich zu gucken und fragte: »Was für eine Überraschung?«
Sie tat so, als würde sie es eigentlich gar nicht wissen wollen und als hätte sie in ihrem Zimmer viel Wichtigeres zu tun. Ihre Eltern hingegen versuchten, nicht allzu offensichtlich zu lächeln.
»Komm!«, sagte Papa Manuel und ging zur Wendeltreppe, die den Turm hinab führte.
Mama Marie hielt ihr die Hand hin und sagte: »Du musst schon mit rauskommen, um es dir anzusehen.« Lächelnd fügte sie hinzu: »Dein Vater freut sich so darauf, es dir zu zeigen.«
Da nahm Mette ihre Hand und sagte: »Na gut. Dann will ich ihm die Freude machen.«
Im Garten stand ein Zeltpavillon. Es war so einer, wie sie in den anderen Königreichen bei den Ritterlagern zu sehen waren, nur eben viel kleiner – wie alles hier.
Die Sonne war gerade untergegangen. Aus dem Zelt drang warmes Licht. Durch die breite Öffnung konnte Mette einen kleinen runden Tisch mit einem Topf und drei Schalen darauf erkennen. Darum standen drei Stühle und ihr Vater war gerade dabei, die dampfende Suppe zu verteilen.
Als sie näherkam, sah sie, dass etwas im Schatten des Zeltes stand, ein merkwürdiges Gestell.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Später«, sagte Mama Marie. »Jetzt wird erst einmal gegessen.«
Mette setzte sich und versuchte, dem verführerischen Duft noch einen Moment standzuhalten. Sie war noch nicht bereit, ihre schlechte Laune gänzlich aufzugeben.
»Ist da auch Honig drin?«, fragte sie ihren Vater mit strengem Blick.
»Ja, da ist Honig drin«, bestätigte Papa Manuel und setzte sich links neben Mette.
»Sind da auch keine Klüter drin?«, fragte sie ihre Mutter mit nicht mehr ganz so strengem Blick.
»Nein, da sind keine Klüter drin«, versicherte Mama Marie und setzte sich rechts neben Mette.
Da konnte sich die Prinzessin nicht länger zurückhalten, wünschte einen guten Appetit und machte sich über ihre Schüssel her.
Als alle aufgegessen hatten, führte König Manuel sie hinaus. Er nahm die Laterne mit und zeigte Mette, was es mit dem Gestell auf sich hatte.
»Das ist ein Fernrohr«, stellte Mette fest. Sie hatte so etwas schon einmal auf Abbildungen in ihren Piratenbüchern gesehen.
»Richtig«, sagte der König. »Ich habe es in einer Kammer entdeckt. Dort lag es seit vielen Jahren. Oma Walentina hat es mir geschenkt, als ich noch ein Kind war. Deine Mutter war so nett, das Stativ zu reparieren. Das Fernrohr funktioniert noch einwandfrei. Schau ruhig einmal hindurch, wenn du magst.«
Mette nahm vorsichtig das dünnere Ende des messingfarbenen Fernrohrs in die Hand und hielt ihr Auge daran – genau so, wie es die Piratenprinzessin in ihren Büchern immer tat.
»Na, was siehst du?«, fragte der König.
Die Abenddämmerung war bereits in dunkle Nacht übergegangen. Deswegen erkannte die Prinzessin nur ein paar Lichter.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Das dort drüben müsste das Schloss des nördlichen Königreichs sein.«
»Ja«, sagte ihr Vater. »Das Fernrohr ist gerade nach Norden ausgerichtet, daher wirst du recht haben. Dreh es ruhig mal in eine andere Richtung.«
Da Mette nun satt und ein ganz klein wenig müde war, hatte sie keine Lust mehr, sich aufzuregen. Daher klang sie eher traurig, als sie antwortete: »Man braucht doch kein Fernrohr, um über unsere Grenzen im Osten, Westen oder Süden zu gucken. Das Gleiche gilt für den Norden. Die Lichter von dem Schloss dort kann ich doch auch mit bloßem Auge erkennen.«
»Dann richte das Fernrohr doch mal nach oben.«
Mette drehte sich zu ihrer Mutter um, die an ihre Seite getreten war.
»Hier«, sagte sie. »Du musst das Stativ etwas höherstellen, damit du weiterhin bequem durchschauen kannst.«
Sie half ihr mit dem Stativ und nur wenige Augenblicke später saß Mette mit dem Kopf im Nacken an dem Fernrohr, begann mit tastenden Händen die verschiedenen Einstellungen auszuprobieren … und staunte.
»Was siehst du nun?«, fragte ihre Mutter schließlich.
»Sterne«, antwortete Mette nach einer kurzen Pause. »Und immer noch mehr Sterne.« Sie riss sich von dem Fernrohr los und blickte ihre Eltern an. Ihre Augen leuchteten, als sie sagte: »Es ist voller Sterne.«
Mama Marie lachte und sagte: »Ja und in diese Richtung hat unser Königreich keine Grenze. Egal, wie weit du schaust.«
Doch Mette hatte schon ganz andere Dinge im Kopf.
»Zeigt mir die Planeten!«, rief sie. »Wo kann ich den Mars sehen? Oder den Saturn? Und wann geht der Mond auf?«
Nun lachte auch Papa Manuel und sagte: »Mondaufgang ist ungefähr in einer halben Stunde. Der Saturn ist jetzt gerade gar nicht zu sehen. Wir haben aber dennoch Glück. Siehst du die beiden Punkte da? Das sind Mars und Venus, die von der Erde aus gesehen gerade ziemlich dicht beieinanderstehen.«
Er wollte ihr helfen, das Fernrohr entsprechend auszurichten, doch Mette wehrte ab.
»Ich kann das«, sagte sie. Und tatsächlich gelang es ihr mit nur wenigen Handgriffen, den Mars in den Fokus zu bekommen. »Der ist ja wirklich rot«, staunte sie.
Sie war so fasziniert von den beiden Planeten, dass sie sich dem Mond erst widmete, als er schon lange aufgegangen war. Und dann gab es erst recht kein Halten mehr. Stundenlang wanderte sie mit ihren Blicken über die Oberfläche des Erdtrabanten, seine Berge und Täler, Krater und die sogenannten Meere, die in Wirklichkeit Tiefebenen waren. Dabei wollte sie alles wissen, was es über die Dinge, die sie sah, zu wissen gab. Zum Glück hatte sich ihr Vater ein Buch zurechtgelegt, in dem all diese Dinge beschrieben waren. Denn aus dem Kopf wusste auch er längst nicht alles über den Mond.
»Wie heißt der große Krater dort?«, fragte Mette.
»Lass mal sehen«, antwortete der König. »Das müsste Tycho sein.«
»Warum hat der so lange weiße Strahlen um sich herum? Sieht ja aus wie ein Stern.«
»Nun, der Krater ist vor sehr langer Zeit durch den Einschlag eines besonders großen Felsbrockens entstanden. Beim Aufschlag ist tieferliegendes helles Gestein weit über die Mondoberfläche geschleudert worden.«
»Sind alle Krater durch solche Einschläge entstanden?«
»Ja.«
»Und warum sind diese Felsbrocken alle auf den Mond gefallen?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, der Mond ist voll mit Kratern. Auf der Erde gibt es keine.«
»Ach so. Nun, das stimmt nicht ganz. Auf der Erde gibt es auch ein paar Krater. Und es fallen auch viele Felsbrocken in Richtung Erde. Der Unterschied ist nur, dass die Erde eine Lufthülle hat und der Mond nicht. Kleinere Felsbrocken verglühen in der Lufthülle und kommen gar nicht unten auf der Erde an. Auf dem Mond kommen alle Felsbrocken an und hinterlassen Krater. Auch die kleinen.«
»Der Mond hat keine Luft?«
»Nein, er ist zu klein, um sie festzuhalten.«
»Dann lebt da niemand?«
»Nein.«
»Schade.«
So ging es die halbe Nacht lang. Die Königin und der König hatten ihre liebe Mühe, Mette von dem Fernrohr loszueisen. Als es ihnen endlich gelungen war, sie zu Bett zu bringen, schlief sie sofort ein. Glücklich und zufrieden.
Von da an durfte Mette einmal in der Woche lange aufbleiben, um Sterne zu gucken. Natürlich nur, wenn es nicht bewölkt war. In der Schule sagte sie: »Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unseren Nachthimmel.«
Denn natürlich durfte sie nur am Wochenende so lange aufbleiben.
Und wenn ihre Schulfreundinnen und Schulfreunde wieder einmal damit anfingen, sie wegen ihres kleinen Königreichs zu ärgern, sagte sie: »Unser Königreich ist überhaupt nicht klein. Nach oben hat es keine Grenze. Es geht bis zum Mond und noch weiter.«
Dann erzählte sie ihnen, was sie alles durch das Fernrohr gesehen und entdeckt hatte. Da vergaßen die anderen Kinder, sie zu ärgern und spielten weiter mit ihr.

Kapitel 2: Eine unverschämte Urkunde

Ein paar Mal im Jahr trafen sich alle Königinnen und Könige, um wichtige Regierungsdinge zu besprechen. Da die Burg von Mette, Marie und Manuel zu klein war, fanden diese Treffen immer in einem der anderen Königreiche statt – und da jemand auf Mette aufpassen musste, wechselten sich Königin Marie und König Manuel damit ab, zu diesen Treffen zu gehen.
Diesmal war Manuel an der Reihe gewesen und als er am Abend wieder nach Hause kam, wirkte er sehr niedergeschlagen. Das war ungewöhnlich, denn normalerweise hatten der König oder die Königin bei diesen Treffen nie viel zu tun. Sie saßen meist nur dabei, lächelten höflich und hörten zu, denn die wichtigen Dinge wurden immer zwischen den großen Königreichen besprochen. Es kam sehr selten vor, dass sie um ihre Meinung gebeten wurden. Das machte ihnen nichts aus. Im Gegenteil. Sie waren recht zufrieden damit, dass man sie in Ruhe ließ.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Königin Marie. Sie merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Alles gut«, sagte König Manuel.
Aber natürlich war nicht alles gut. Das merkte auch Mette. Ihr Papa sagte kaum etwas, aß nur einen Bissen vom Abendbrot und steckte dann seine Nase in eines seiner dicken Bücher.
Mette und ihre Mama schauten sich an und zuckten beide mit den Schultern. Dann sah Mette, dass aus der Manteltasche ihres Vaters ein zusammengerolltes Stück Papier ragte. Er hatte den Mantel beim Reinkommen achtlos über einen Stuhl geworfen.
»Was ist das für ein Zettel, Papa?«, fragte sie. »Da in deinem Mantel.«
»Nichts!«, kam die barsche Antwort aus dem Lesesessel. »Fass meine Sachen nicht an!«
Mette bekam einen Schreck, denn so schrie sie ihr Vater eigentlich nie an. Mama Marie nahm sie sofort in den Arm und sagte: »Was ist denn los mit dir, Manuel? Was fällt dir ein, Mette so anzufahren?«
Der König sprang aus seinem Sessel, kniete sich vor Mette hin und sagte: »Es tut mir leid, Mette. Es war nur ein sehr anstrengender Tag.«
»Schon in Ordnung, Papa«, sagte Mette.
»Gar nichts ist in Ordnung«, sagte die Königin und zog das Papier aus dem Mantel.
Es sah sehr wertvoll aus, wie eine Urkunde. Unten waren mehrere Siegel aus Wachs befestigt. Tatsächlich war es auch eine Urkunde. Staunend rollte die Königin sie auf.
»Was ist das denn?«, murmelte sie und begann zu lesen. Dann fing sie an zu lachen.
»Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt«, sagte der König. »Die haben sich über mich lustig gemacht. Über uns haben sie sich lustig gemacht mit diesem … Spaß.«
»Kann mir vielleicht auch mal einer erklären, worum es hier geht?«, fragte Mette.
»Ach«, sagte der König, »Erwachsenen-Kram.« Dann ging er in sein Lesezimmer und ward an diesem Abend nicht mehr gesehen.
»Mama?«, fragte Mette.
»Nun«, begann die Königin, »du erinnerst dich doch noch daran, wie dich die anderen Prinzessinnen und Prinzen geärgert haben.«
»Ja.«
»Und um dich aufzumuntern haben wir doch damit begonnen, dir die Sterne und Planeten zu zeigen. Und wir haben dir dabei gesagt, dass unser Königreich nach oben keine Grenze hat, dass es bis zum Mond und zu den Sternen reicht.«
»Ja.«
»Nun ja, und das hast du deinen Schulfreundinnen und Schulfreunden erzählt – was auch richtig war, denn nun ärgern sie dich nicht mehr – und die haben es ihren Eltern erzählt. Und die Eltern haben sich nun einen Spaß daraus gemacht, deinem Vater und uns eine Besitzurkunde über den Mond auszufertigen.«
»Dann ist es meine Schuld, dass sie Papa geärgert haben und dass er jetzt so traurig ist.«
»Nein, Mette, das ist es nicht. Du hast alles richtig gemacht. Die anderen Königinnen und Könige wollten sich anscheinend schon lange über uns lustig machen. Sie sind schuld, dass dein Papa jetzt traurig ist, und niemand sonst.«
Mette dachte nach.
»Aber gehört uns dann jetzt wirklich der Mond?«, fragte sie.
»Also …«
Die Königin überlegte kurz und betrachtete die Urkunde noch einmal genauer.
»Die Urkunde ist echt. Da stehen die Unterschriften von allen Königinnen und Königen drunter und sie haben es alle besiegelt. Wir sind hiermit ganz offiziell die Königsfamilie des Mondes. Nur …«
»Nur was, Mama?«
»Naja, was haben wir davon, außer, dass sie uns jetzt immer ›Marie und Manuel vom Mond‹ nennen werden?«
»Und ›Mette vom Mond‹.«
»Genau. Und natürlich auch ›Mette vom Mond‹. Aber wir können den Mond ja nur schwer in Besitz nehmen. Wie sollen wir da hinkommen?«
Darauf wusste auch Mette keine Antwort. Aber sie lag an dem Abend noch lange im Bett wach und dachte darüber nach.
Am nächsten Morgen beim Frühstück dachte sie weiter darüber nach, ebenso auf dem Weg zur Schule, im Unterricht und in den Pausen. Die anderen Kinder ließen sie dabei in Ruhe. Sie nannten sie auch nicht ›Mette vom Mond‹. Längst hatten sie die Lust daran verloren, sie zu ärgern.
Mette malte viele Bilder, das half ihr beim Nachdenken – Bilder vom Mond, von ihrem kleinen Königreich mit der kleinen Burg darin, Bilder von Vögeln, Ballons, Flugzeugen und Luftschiffen … und dann hatte sie eine Idee.
Sie malte noch ein Bild und gab sich dabei besonders viel Mühe. Als sie fertig war rollte sie das Papier sorgfältig zusammen, band es mit einer Schnur fest und verstaute die Papierrolle in ihrer Tasche. Dann ging sie zu ihrer Lehrerin und meldete sich für die Handwerks-AG an.
Als sie am Nachmittag nach Hause kam, wollte ihr Vater ihr gleich mit den Hausaufgaben helfen und dann mit ihr spielen. Er hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, weil er sie tags zuvor so angeraunzt hatte. Natürlich hatte Mette ihm längst verziehen, ließ es sich aber sehr gefallen, wie er sich um sie kümmerte. Also schauten sie sich zusammen Bücher an, bastelten und spielten Ball. Dabei hatten Mette und ihr Vater viel Spaß – und trotzdem merkte sie, dass er noch immer ein bisschen traurig war.
Am Abend, als Mette zu Bett gebracht wurde, sagte sie: »Papa, ich habe etwas für dich. Ich habe dir heute in der Schule ein Bild gemalt. Es liegt in meiner Tasche. Du darfst es dir nachher rausholen. Das möchte ich dir schenken, damit du wieder fröhlich bist.«
»Aber ich bin doch fröhlich, mein Schatz«, antwortete der König.
»Ich schenke es dir trotzdem«, sagte Mette und lachte.
Da lächelte auch der König, umarmte seine Tochter und sagte: »Vielen Dank!«
In Mettes Tasche fand er das zusammengerollte Papier. Darauf stand »Für Papa«. Behutsam löste er das Band und entrollte das Papier. Er betrachtete das Bild und musste erneut lächeln.
»Na, was hast du da?«, fragte ihn die Königin.
»Mette hat mir ein Bild gemalt«, sagte er und zeigte es ihr.
Auf dem Bild war ihr Turm zu sehen, an dem Flügel angebracht waren. Darüber war der Turm noch einmal zu sehen, wie er wie eine Rakete in den Himmel flog – genau auf den Mond zu, auf dem eine Fahne mit ihrem königlichen Wappen steckte.
Auch die Königin musste lächeln.
»Das hat sie aber sehr schön gemalt«, sagte sie.
»Ja«, sagte der König. »Damit ich wieder fröhlich bin, hat sie gesagt. Ich glaube, es hat funktioniert.«
»Das ist schön«, meinte die Königin.
Dann suchten sie einen besonders hübschen Bilderrahmen und hängten das Bild über dem Esstisch an die Wand.
Am nächsten Morgen aßen sie wieder alle zusammen Frühstück. Der König bedankte sich bei Mette für das Bild und Mette freute sich, dass es dort an der Wand hing.
»Und?«, fragte sie. »Was meint ihr?«
»Äh … Das ist wie gesagt ein sehr schönes Bild«, antwortete der König.
»Ja«, sagte die Königin. »Man merkt, dass du dir besonders viel Mühe damit gegeben hast. Und es hat geholfen. Dein Papa ist jetzt wieder fröhlich.«
»Das meine ich nicht«, sagte Mette. »Glaubt ihr, dass es funktioniert? Dass wir so zu unserem Mond kommen?«
Darauf verschlug es ihren Eltern erst einmal die Sprache.
»So!«, durchbrach Mette das Schweigen. »Ich muss los zur Schule. Ich komme heute ein bisschen später nach Hause. Heute ist Handwerks-AG.«
Sie gab Königin und König einen Kuss und stürmte hinaus. Ihre Eltern waren immer noch sprachlos.
Als Mette nach Schule und AG nach Hause kam, empfing sie ihr Vater mit den Worten: »Mette, ich glaube, wir müssen da mal was klarstellen.«
»Gleich, Papa«, sagte sie. »Erst muss ich dir was zeigen. Wir haben heute in der AG eine Rakete gebastelt.«
Sie holte eine röhrenförmige Konstruktion aus ihrer Tasche, die etwa so lang wie einer ihrer Arme war.
»Hol mal eine Luftpumpe!«, sagte sie. »Dann zeige ich dir, wie sie funktioniert.«
Sie ging mit ihrer Rakete in den Garten und rief dabei: »Mama! Komm mal raus! Ich will euch was zeigen!«
Einige Augenblicke später versammelte sich die Familie um einen kleinen Gartentisch, auf dem die Rakete stand. Mette nahm den Schlauch der Luftpumpe und befestigte ihn unten an der Rakete.
»So, Papa«, sagte sie. »Jetzt genau drei Mal pumpen.«
König und Königin schauten sich an, doch dann tat Manuel, wie ihm geheißen.
Mette erklärte dazu: »Du pumpst jetzt Luft in die Rakete. Hier unten ist ein Ding, das die Luft drin hält, wie in einem Fahrradreifen. Und wenn ich jetzt dieses Ding wieder aufmache …«
Sie löste den Schlauch unten an der Rakete und mit einem lauten Zischen flog sie mehrere Meter in die Höhe. Die Königin und der König staunten und folgten der Flugbahn der Rakete mit ihren Blicken. Mette aber rannte schon zu der Stelle, an der das Geschoss auf dem Boden gelandet war.
»Das hat sie aber toll gebaut«, sagte die Königin zu ihrem Mann.
»Ja«, sagte der. »Durch das Ventil unten am Zylinderkörper kann ein Überdruck erzeugt werden. Wenn man das Ventil dann öffnet …«
»Das war schon toll, oder?«
Mette kam mit der Rakete unter dem Arm angelaufen. Ihre Eltern waren begeistert. Mette war aber noch nicht fertig.
»Das Beste kommt erst«, sagte sie.
Sie drehte die Rakete um, öffnete sie am unteren Ende und goss mit einer Gießkanne Wasser hinein. Dann verschloss sie die Rakete, baute sie erneut auf dem Tisch auf und befestigte wieder den Schlauch der Luftpumpe.
»Und jetzt noch mal«, sagte sie. »Drei Mal pumpen!«
Das fiel ihrem Vater schon wesentlich schwerer. Aber er schaffte es. Und als Mette das Ventil dieses Mal öffnete, schoss die Rakete mit noch viel lauterem Zischen und Spritzen so hoch in den Himmel, dass sie fast nicht mehr zu sehen war. Königin Marie und König Manuel schrien ganz kurz auf – halb vor Schreck und halb vor Staunen. Mette aber lachte laut und rannte los, um ihre Rakete wiederzufinden.
Den Rest des Tages spielten sie mit der Rakete und ließen sie noch mehrere Male in die Luft zischen. Die Königin ließ sich von Mette genau erklären, wie sie zusammengebaut war und der König dachte laut darüber nach, was genau der Grund war, dass die Rakete mit Wasserfüllung so viel höher flog als mit Luftfüllung.
Noch tief in der Nacht, als Mette schon lange schlief, stöberte er in dicken Büchern, die die Funktionsweise von Raketen genau erklärten, und unterhielt sich mit der Königin darüber, wie man sie umbauen könnte, damit sie noch höher flog.
So kam es, dass König Manuel die ganze Woche lang am Esstisch zwischen Stapeln von Büchern saß und immer wieder auf Mettes Bild starrte.
Nach ein paar Tagen fragte Mette ihn: »Und? Was meinst du jetzt?«
»Nun«, sagte er und dachte dann einen Moment darüber nach, was er eigentlich sagen wollte.
»Es könnte tatsächlich klappen«, sagte er. »Ich habe viele Pläne für Mondraketen gefunden. Der Entwurf von Professor Bienlein ist sehr interessant. Man könnte so etwas bauen. Den Flug zu berechnen ist auch machbar.«
»Aber?«, fragte Mette, denn sie wusste, dass jetzt ein ›Aber‹ kam.
»Aber«, sagte der König tatsächlich, »wir sind nur zu dritt. Wer soll das alles bauen?«
Darauf wusste Mette keine Antwort. Und so lag sie später ein weiteres Mal die halbe Nacht wach, um darüber nachzudenken.
In den kommenden Tagen bastelte die Familie weiter an Raketenmodellen, denn sie hatten Spaß daran gefunden, die Technik immer weiter zu verbessern und immer höhere Höhen zu erreichen. Schon bald waren sie zu Triebwerken mit brennbarem Treibstoff übergegangen. Viele dieser Raketen gingen verloren, da sie explodierten oder einfach nicht wieder aufzufinden waren – selbst als sie später mit Fallschirmen ausgerüstet waren. Doch die Modelle wurden immer ausgereifter und zuverlässiger.
Die letzte Rakete hatte sogar eine kleine Kamera in ihrer Spitze eingebaut. Sie flog weit über die Wolken bis fast an den Rand des Weltraums. Von dort war die Aussicht fantastisch und man konnte bereits die Kugelform der Erde erkennen. Damit sie Rakete und Kamera auch wiederfanden, hatten sie neben dem Fallschirm einen kleinen Blinker in die Raketenspitze eingebaut, der ihnen die Suche erleichterte, wenn sie nachts durch die Wiesen und Wälder der Nachbarkönigreiche stapften, um sie wieder einzusammeln. Bald hingen unzählige Bilder dieser Kamera eingerahmt neben Mettes Bild.


Vorankündigung: Mette vom Mond von Finn Mühlenkamp mit Illustrationen von Sina Loriani

Mette lebt mit ihren Eltern im kleinsten Königreich der Welt. Das ist nicht weiter schlimm – bis die anderen Kinder anfangen, sie deswegen zu ärgern. Zum Glück hat ihr kleines Reich nach oben hin keine Grenze. Und aus einem Wohnturm lässt sich doch bestimmt eine hervorragende Mondrakete bauen. +++ Fantastisches Kinderbuch für alle im Alter zwischen 7 und 107 Jahren   +++ 92 Seiten, schwarz/weiß, A5, ISBN: 978-3-9822845-9-0, 15,99€ +++ Jetzt versandkostenfrei vorbestellen*! Der Artikel erscheint am 1.1.2023 und wird danach sofort versandt.  +++